Montag, 16. Oktober 2006
Das Grauen wohnt auf Zimmer 1514
Aus meinem Notizbuch (über Zimmer in einem großen Hotel einer Kette, die alle exakt gleich eingerichtet sind.) , irgendwann letztes Jahr.

„…Ich war immer der Ansicht, dass alles und jeder eine Geschichte haben kann. Inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher. Seit ich vier Wochen in wechselnden, aber immergleichen Zimmern eines großen Hotels verbracht habe, in denen ich oft darüber nachdachte, was man wohl über diese Hotelzimmer schreiben könnte, glaube ich diese Zimmer sind Zimmer ohne Geschichten. Sicher, in diesem Zimmer könnte irgendetwas Wichtiges passiert sein, aber das Zimmer ist so unspezifisch wie alle anderen 423 in diesem Hotel. Niemand würde sich an genau dieses Zimmer erinnern. Ist das nicht unheimlich? Was tut so ein Hotelzimmer einem an? Vielleicht raubt es einem die Individualität? Neutralisiert hinterrücks des Nächtens Ideen und Träume. Wir wachen auf und wachen nicht mehr wirklich auf. Horror. Die Römer hatten den Begriff des Genius Loci, des charakteristischen Geistes eines Ortes, hier herrscht eine Art schwarzes Genius Loci Loch. Wer denkt sich so was aus und nennt das Gastlichkeit? Ich nenne das Garstigkeit. Und wie ergeht es dem, der 423 Mal das gleiche Bild in diesem Hotel aufgehängt hat, und zwar immer hinten rechts über den immergleichen Buchenholzschreibtisch? Fängt in dessen Leben plötzlich auch alles an gleich zu werden? Isst er jeden Tag das gleiche? Nimmt er den gleichen Bus? Zieht er das gleiche an? - grueslig“

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Wahrhaftig!
Umso schöner ist dann eine Erinnerung an ein Zimmer in Paris, im cartier latin ganz in der Nähe des Bvd.St.Michel
mit einem riesigen französischen Bett, einem alten offenen Kamin mit einem uralten, fast blinden Spiegel darüber bis zur Decke und einem völlig schrägen Holzfußboden, der so schräg war, dass alles, was hinfiel und einigermaßen rollen konnte, sich in einer Ecke sammelte. Kein späteres Hotelzimmer weltweit ließ ein so eindrucksvolles Bild, soviel erfühlten Genius zurück.
Danke für das Wecken dieser Tatsache.

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Ja, es gibt sie noch, die schoenen Orte (und Zimmer), in denen man dann auch tatsaechlich mal ankommen kann. Denn ist der Sinn des Reisens nicht das Ankommen?
Vielleicht machen die modernen Business-Hotels es einem absichtlich so schwer anzukommen, damit man ungestoert im Strom der Besprechungen und Termine weiterdriften kann, ohne jemals an etwas festhalten zu wollen. Vielleicht koennten wir Business Zigeuner es gar nicht ertragen ueberall immer ankommen (und wieder aufbrechen) zu muessen.

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